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Wie alles begann...

Gründung

„Villen zu bezahlbaren Preisen! Zweckmäßigkeit und guter Geschmack!“ – Inmitten eines dichten Waldstücks südlich von Frankfurt stand einst Jakob Latscha und hatte in der Morgenröte des zwanzigsten Jahrhunderts eine Vision.

An der Strecke der 1847 eröffneten Rhein-Neckar-Bahn, auf dem historischen Gelände des Forstes Mitteldick, wollte der Frankfurter Großkaufmann und Sozialreformer binnen weniger Jahre eine Siedlung aus dem Boden stampfen, die ihresgleichen suchen sollte. Einzelstehende Häuser. Grundstücke von mindestens 1000 Quadratmetern. Für einen Preis von nur einer Mark pro Quadratmeter. Eine genossenschaftlich organisierte Siedlung für kleinere Angestellte, Beamte und Handwerker, im Grünen, aber doch gut angebunden an das nahe Frankfurt. Mit Gemeindeversammlungen und Gottesdiensten in der schönsten Kirche der Welt: dem Wald mit seinen majestätischen alten Laubbäumen. Und mit ebenso strengen wie fürsorglichen Nachbarschafts- und Grundrechtsregelungen, die einen freundschaftlichen Umgang untereinander festschreiben sollten.

Latschas Vision wurde Realität. Aber anders als er dachte. Denn die meisten Flächen dort gehörten zum Besitz des Großherzogs von Hessen, Ernst Ludwig. Dieser ließ sich zunächst von Latschas Plänen überzeugen. Am 1. Juli 1904 wurde der Gründungsvertrag unterzeichnet. Latscha hatte dafür eigens die „Wohnungsgesellschaft Buchschlag“ gegründet. Er steckte viel Geld in das Projekt und war vom großen Erfolg völlig überzeugt. Doch Ernst Ludwig hatte einen eigenen Plan für Buchschlag. Statt für bezahlbare Häuschen begeisterte er sich für wegweisende Architektur. Die spektakuläre Jugendstilanlage der Mathildenhöhe in Darmstadt war gerade fertig, nun setzte der Großherzog seine bevorzugten Baumeister daran, eine Kolonie mit eindrucksvollen Villen in Buchschlag zu errichten.

„Die alten Buchschlager Villen sind ein tolles Beispiel für Nachhaltigkeit im Bauwesen, mit regionalen Baustoffen, örtlichen Handwerkern, natürlichen, mineralischen Materialien, mit denen die Häuser gebaut sind – also ein wirklich tolles Beispiel für nachhaltiges Bauen“.

Heinrich Weiler, Bauingenieur und Buchschlager

Der Darmstädter Städteplaner Friedrich Pützer entwarf den Bebauungsplan, den die Dominialverwaltung des Großherzogs den Bauherren verbindlich vorschrieb. Der Plan gab nicht nur die Gestaltung der Häuser und Gärten vor, sondern umfasste als großer Entwurf die gesamte Anlage. Bis ins Detail legte Pützer alles genau fest: die Baustoffe, die Art der Sockel und Dächer, sogar die Farben von Fenstern, Zäunen und Gartenmöbeln. Die Siedlung sollte sich der natürlichen Landschaftsform anpassen, vom Zuschnitt der Grundstücke bis zum geschwungenen Verlauf der Straßen. Vierzehn Architekten setzten seine Pläne um, darunter bedeutende Namen wie Wilhelm Koban, Ludwig Bernoully oder Alois Beck. Es gelang ihnen, ein ästhetisch einheitliches Ensemble zu schaffen, das zugleich aus individuellen Häuser-Solitären bestand.

Diese völlige Abkehr von Latschas Idee führte zu einer massiven Erhöhung der Baukosten. Solche Häuser konnten sich nur wohlhabende Menschen leisten. Diese Entwicklung war natürlich überhaupt nicht im Sinne des Sozialreformers. Zumal sich deutlich weniger Großstädter für eine Ansiedlung interessierten, als wirtschaftlich erforderlich gewesen wäre. Teure Häuser mitten im Wald, deren Gestaltung vorgeschrieben war, fernab von jeglicher Infrastruktur, und zunächst ohne Kanalisation? Nur wenige wollten sich das anfangs antun.

„Bei Festsetzung der Baubestimmungen für Buchschlag ging man von dem Grundsatz aus, dass Zweckmäßigkeit und guter Geschmack im Bauwesen vereint sein müssen und dass eine Niederlassung, bei der die – in Buchschlag leider nur zum Teil erreichte – Fernhaltung trivialer oder hässlicher Bauten von vornherein bewusst angestrebt wird, ein Gesamtbild ergeben muss, das zur Niederlassung daselbst einen Anreiz bietet und es dem Bewohner in der erwählten neuen Heimat bald wohnlich werden lässt.“

Geh. Oberfinanzrat Dr. Fuchs: „Die Villenkolonie Buchschlag“, Darmstadt 1910

Latscha zog sich, finanziell fast ruiniert, tief enttäuscht aus dem Projekt zurück. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz wuchs der kleine Ort langsam, aber stetig. Schon im Jahr 1913 waren die meisten Parzellen bebaut, 600 Menschen wohnten hier. Und Jakob Latschas Geist beseelt Buchschlag noch heute. Denn zumindest seine Vision von einer lebendigen Nachbarschaft, die einander kennt und hilft, die zusammen Projekte verwirklicht und sie dann gemeinsam feiert – sie ist in Erfüllung gegangen.

„Es dürfte der schönste Misserfolg sein, der jemals einem Immobilienentwickler im Rhein-Main-Gebiet wiederfahren ist.“

Matthias Alexander, Leiter der Rhein-Main-Zeitung der Frankfurter Allgemeine Zeitung, über Jakob Latscha und Buchschlag

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